Es geht etwas weniger formell zu bei unseren Sitzungen, jedenfalls was die Kleiderordnung betrifft – Krawatten trifft man nur noch bei festlichen Sitzungen an und ansonsten herrscht eher der Stil «smart casual» inklusive Jeans und Shirt vor. Auch wenn das vielleicht nur eine kleine Äusserlichkeit ist, zeigt sie für mich jedoch in beruhigender Weise, dass wir als Gemeinschaft zur Veränderung fähig sind und nicht nur starr und bewahrend an der Form festhalten. Es hat darüber keine Abstimmung gegeben. Diese Anpassung entstand über die Zeit aus dem Handeln einzelner Brüder und entspricht demnach wohl auch dem unausgesprochen Wunsch nach einem lockeren und weniger steifen Auftritt, der auch den freundlichen, offenen und toleranten Umgang im Refektorium besser zum Ausdruck bringt. Der weiterhin durch unsere Rituale bestimmte hochformale Ablauf in der Halle ist davon unberührt geblieben, bestenfalls sogar durch eine etwas entspanntere Grundstimmung und Gelassenheit noch positiv beeinflusst worden, jedenfalls nach meinem Dafürhalten.
Dieses kleine Beispiel hat für mich in Bezug auf den Weg, den unsere Bruderschaft geht, hohe Symbolkraft. Ebenso wie die Geschichte unseres Logenheims, das als ein mehr als hundert Jahre altes Haus in seiner Grundstruktur erhalten geblieben ist, seinen Charakter bewahrt hat und doch über die Jahre viel Veränderung durch einige Sanierungen und Renovierungen erfahren hat. Stets mit dem Ziel, den über die Jahre wechselnden Bedürfnissen der Bewohner und Nutzer in Ausbau und Ausstattung nachzukommen.
Ein prägende Teil des Charakters unserer Gemeinschaft
Auch unsere Rituale sind ein solches historisches Gerüst, bilden einen prägenden Teil des Charakters unserer Gemeinschaft oder, eher zeitgemäss ausgedrückt, unserer Kultur. Auch hier stellt sich immer wieder die Frage, was von den von uns verwendeten Symboliken und Ritualtexten noch wirkungsvoll die damit verbunden ethisch-humanitären Botschaften und unsere Werte Freundschaft, Liebe und Wahrheit vermitteln kann. Auch hier hat es in den letzten Jahren immer wieder Anpassungen und Reformen gegeben, immer mit dem Ziel, den veränderten Lebensumständen in unserer Gesellschaft gerecht zu werden, um beispielsweise religiöse Einseitigkeiten zu vermeiden und für alle Ethnien und Religionen eine tragfähige Sprache und Symbolik zu finden.
Die grosse Herausforderung der kommenden Jahre
Zu bestimmen, in welcher Form wir als Odd Fellows auf gesellschaftliche Veränderungen eingehen, was wir dabei ändern wollen und wie wir dabei unseren Charakter, unsere Kultur, unseren Wertekern bewahren, ist aus meiner Sicht die grosse Herausforderung der kommenden Jahre, wenn wir gerade in unserer schnelllebigen und von grossen Umbrüchen geprägten Zeit die Zukunft unserer Loge und der Odd Fellows insgesamt sichern wollen. Also machen wir uns auf den Weg: Gehen wir mit der Zeit, ohne unser Odd Fellow-Sein zu verlieren.