Zunächst viel der Ort auf, an dem das Eidgenossen-Lage stattfand: die Lounge in der Arena bot durch ihre Glaswand die Sicht auf die Sporthalle, wo zeitgleich ein Jugendfussball-Turnier stattfand. Dies tat aber dem Verlauf des Eidgenossen-Lagers keinen Abbruch. Und das Lager hatte einiges zu bieten, beispielsweise mit fesselnden Reden und Referaten sowie einem interessanten Programm für die Partnerinnen und für die Gäste.
Doch der Reihenfolge nach. Nach der obligatorischen Besammlung bei Kaffee, Tee und Gipfeli und der Begrüssung teilten sich die Lagerteilnehmer und die Partnerinnen mit den Gästen.
Letztere begaben sich zu ihrer Vortragsstätte. Dort erwartete sie Judith Maag. Die Eigentümerin und Geschäftsführerin der Maag Recycling AG aus Winterthur referierte zum Thema Abfall, Entsorgung und den sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen. Sie erzählte dabei frisch und begeisternd auch über die Situation als Frau in der Wirtschaft und löste mit ihrem Vortrag eine anredende Diskussion aus.
Währenddessen eröffnete Hauptpatriarch Adi Koch das Sommer-Lager. In seiner Ansprache, die wir hier in Auszügen wiedergeben, thematisierte er die gesellschaftliche Wertehaltung. Seine Ausführungen stellte er zwei Zitate voran. Eines von Gustav Heinemann – «Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt.» – und eines von Wladimir Klitschko – «Wissen Sie, als ich an der Frontlinie in Kiew war, hatte ich die Gelegenheit, darüber nachzudenken, was im Leben wichtig ist. Titel, Job, Geld und Status sind völlig egal. Am Ende des Tages entscheidet nur die menschliche Moral, wo man im Leben steht.»
Neujustierung des gesamten Wertespektrums
Adi Koch wies darauf hin, dass es zur Bewältigung der Herausforderungen und der gesellschaftlichen Probleme oder des Umgangs mit Mitmenschen, Natur und Umwelt, einer Neujustierung des gesamten Wertespektrums bedarf. Freiheit, Selbstbestimmung, Führungsqualität, Endlichkeit, Verantwortung, Konsumverhalten, Vorurteile und Zukunft seien Stichwörter, die zum Überdenken des eigenen Lebensentwurfs anregen und dazu auffordern, Modelle einer wünschenswerten Gemeinschaft zu entwickeln.
«Ohne den Leitfaden eines durchgehenden Sinns», so der Hauptpatriarch weiter, kann das Leben nicht gelingen, denn es zerfiele in zusammenhanglose Bruchstücke, die im Nacheinander der Zeit unverbunden aneinandergereiht wären. Dass das Leben einen Sinn haben muss und dass jeder einzelne Mensch sich nach Massgabe der allgemein als gültig erachteten Normen und Werte als Sinnproduzent zu betätigen hat, ist eine zentrale Forderung unserer Kultur.»
Wir würden uns heute mehr denn je mit dem Problem des Absurden konfrontiert sehen. Wir würden einerseits wissen, dass wir die individuelle Freiheit einvernehmlich begrenzen müssen, um zu Sinnvorstellungen zu gelangen, die von möglichst vielen geteilt werden.
Andererseits könnten wir uns nicht mehr umstandslos auf die in unserer abendländischen Tradition gewachsenen humanistischen Werte stützen, insofern diese unter Berufung auf den christlichen Gott für sakrosankt erklärt wurden. Wir wollten ja auch Andersgläubige und Atheisten mit ins Boot holen, das sich daher nicht in religiösen, sondern in ethischen, verallgemeinerungsfähigen Fahrwassern bewegen müsse.
Wir leben in einem Geschwindigkeitsrausch
«Das ökonomistische Missverständnis unserer Zeit ist die Folge einer Verwechslung von Qualität und Quantität.
Der tiefere Grund für das Scheitern unserer Bemühungen um Sinn ist in einem falschen Zeitmanagement zu suchen, das zu einem eindimensionalen Menschenbild geführt hat. Wenn der Mensch, ganzheitlich betrachtet, aus Kopf, Herz, Bauch und Hand besteht, gerät dieses Sinngebilde aus dem Gleichgewicht, sobald einer der Teile verabsolutiert wird.
Diese Entgleisungen sind in der Tat die Folge eines falschen Zeitmanagements und mangelnder Lebenskunst. Wir leben in einem Geschwindigkeitsrausch. In rasenden Verkehrsmitteln flitzt die Landschaft an uns vorbei, so dass wir ihre Schönheit nicht mehr wahrnehmen. Man hastet mit den anderen mit, versucht noch an Tempo zuzulegen, um sie zu überholen und vor ihnen ans Ziel zu gelangen. Zwischendurch wird einem kurzen Glück nachgejagt, denn zu einem wirklichen, intensiven Genuss reicht die Zeit nicht aus. Dass man nur noch im Zustand des Gehetztseins unterwegs ist, wird zur Gewohnheit beim Essen und Trinken, beim Lieben, bei sportlichen und spielerischen Betätigungen.
Vom Diktat der Zeit befreit, gewinnen wir die Herrschaft über unser Leben zurück. Vorausblickend vermögen wir die vor uns liegende, noch unverbrauchte Zeit mit jenen Plänen, Projekten und Zielvorstellungen zu füllen, durch die wir unser Leben als ein Sinnganzes zu gestalten versuchen. Die Erfahrung hilft uns bei der Organisation frist- und termingerechter Umsetzungsprogramme, denn alles braucht seine Zeit.
Der angemessene Umgang mit der Zeit verlangt Augenmass und Urteilskraft. Besonnenheit ist gefragt.
Kultur und Moral verdanken sich dem Nachdenken über Werte, die langfristig und nachhaltig das individuelle und das kollektive Handeln bestimmen sollen.
Werte, Rechte und Normen sind somit nicht ausserhalb der Zeit, sondern für jede Zeit von Bedeutung. Und auch sie können diese Kraft nur entfalten, wenn die sich verändernden Lebensverhältnisse mitberücksichtigt werden.»
Die Autonomie über sich zurückgewinnen
«Lebenskunst besteht darin, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten und damit die Autonomie über sich zurückzugewinnen. Die regelmässige Unterbrechung der mechanischen Abläufe alltäglicher Verrichtungen mittels Mussezeiten lehrt Geduld und Gelassenheit als Eigenschaften einer Grundhaltung, die frei macht für die jederzeit nötige Selbstbesinnung. Der Blick öffnet sich für ein selbstgenügsames Leben, in dem die Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig immer wieder neu austariert wird.(…)
Die uralten Regeln, niemandem wissentlich und willentlich zu schaden bzw. anderen nichts zuzufügen, das man auch selbst nicht zugefügt bekommen will, bilden seit jeher den Kern eines humanen Selbstverständnisses, das auf dem ethischen Prinzip selbstverantwortlicher Freiheit beruht. Die autonome Freiheit kollektiv vernetzter Individuen räumt jedem von ihnen das Recht auf gleiche Freiheit ein. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung der Mitmenschen als gleichwertige Personen. (…)
Das Gerechtigkeitsempfinden ist die Basis für die Menschenwürde. Wer Menschenrechtsverletzungen bagatellisiert und ihre universale Gültigkeit bestreitet, schiebt Kultur- und Sozialisierungsprozesse als Grund für die Relativierung der Menschenrechte meistens nur vor, um schieres Machtstreben zu kaschieren. Brutalität und Terror, sanktioniert durch Tribalismus (Stammestum) und Fundamentalismus, sind keine kulturspezifischen Phänomene, sondern überall in der Welt politisch motivierte Formen der Ausübung von Gewalt um des Machterhalts willen.»
Hauptpatriarch Adi Koch schliesst mit den Worten: «Wir leben nicht nur in der Gesellschaft, wir sind diese Gesellschaft. Jeder von uns ist ein soziales Wesen, das in einer sozialen Struktur handelt, lebt und stirbt. Diese Struktur formt uns und bestimmt die Art und Weise, wie Individuen und Gruppen handeln, leben und miteinander in Beziehung treten. Wir stützen uns unter anderem auf soziale Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.»
Passend und ergänzend zu dem Vortrag des Hauptpatriarchen erklang abschliessen der Song «We are the world»
Die Sonne und ein Krieg in Nahost
Der Alt-Gross-Sire Hugo Kurz machte die Sonne zum Thema seines Vortrags. Sie ist eines der Gross-Logen-Symbole. Der Alt-Gross-Sire betrachtete die Sonne von verschiedenen Seiten. Aus Platzgründen können wir an dieser Stelle leider nicht weiter auf den Vortrag eingehen, werden ihn jedoch in einer der nächsten OFZ-Ausgaben den ihm gebührenden Platz einräumen.
Das Gleiche gilt für den Vortrag von Patrick Schibli von de Kyburg-Loge, den er im zweiten Teil des Eidgenossen-Lagers hielt, nachdem sich die Partnerinnen und die Gäste wieder zu den Brüdern und Schwestern des Lagers gesellt hatten. Er erzählt unter dem Titel «In der Mitte eines Sees – inmitten einer Wüste – im Zentrum eines Krieges» die packende Geschichte eines Konvois von Handelsschiffen, der für acht Jahre im Bitterlake, einem kleinen See im Suezkanal festgehalten wurde, als am 5. Juni 1967 in Nahost ein Krieg ausgebrochen war.